Das dritte Geschlecht by Ernst von Wolzogen

Das dritte Geschlecht by Ernst von Wolzogen

Autor:Ernst von Wolzogen
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rich. Eckstein Nachf.


Niemand sagte etwas. Nach einer Weile fragte der Prinz: »Nun?« Er sah dabei Arnulf Rau herausfordernd an.

»Wenn es auf eine verwandte Stimmung trifft,« sprach der: »dann mag es eine plötzliche tröstliche Schönheit gewinnen, das gebe ich zu.«

»Nun, ich meine,« lächelte der Prinz: »das ist so ziemlich alles, was man von einem Gedicht verlangen kann.«

Arnulf Rau zuckte die Achseln. »Wenn Sie meinen, Durchlaucht … . . mir ist sowohl diese geheimnisvolle Rätselkrämerei wie auch dieser müde Weltschmerz unsympathisch. Ich wünsche zwar durchaus nicht, dass alle Kunst für die Gasse sein soll, aber man soll auch die Kunst nicht in der Schwierigkeit suchen.«

Der Prinz sah sich in dem kleinen Kreise um, als wollte er andere Urteile herausfordern. Von dem Grafen Rimsky war offenbar nichts zu erwarten. Der hatte seinen Mund eirund geöffnet und that als ob er Rauchringe formen wollte, um sein Gähnen zu verbergen. Werner Rudolfi starrte mit feuchten Augen zur Decke empor, wie hypnotisiert von den Südfrucht-Guirlanden, die sein Kunstgenosse dort oben hingezaubert hatte, und Raoul de Kerkhove machte vollends ein Gesicht als drückten ihn seine Lackstiefel. Frau von Robiceck sass auf dem Divan und rauchte, die Ellbogen auf die Kniee und ihren Kopf in die Hände gestützt. Sie träumte vor sich hin, und wieder machte sich jenes krampfhafte Zucken um Mund und Nasenflügel bemerkbar, welches bei ihr das Herannahen einer Nervenkrise zu verkünden pflegte. In der andern Ecke desselben Divans sass Joachim von Lossow, flocht nervös seine Finger ineinander und suchte eine Spitze seines spärlichen Bärtchens mit den [104]Unterzähnen zu erhaschen. In seinen Augen blitzte es von verhaltener Leidenschaft.

»Wollen Sie uns nicht etwas spielen Herr von Lossow?« sagte der Prinz.

Und der junge Mann erhob sich sofort, trat an den Flügel und schlug schweigend den Deckel zurück. Dann setzte er sich vor die Tasten, sann eine kurze Weile nach und sagte endlich so leise, dass wohl nicht alle Anwesenden es verstanden: »Ich will versuchen Ihnen das Gedicht zu spielen.«

»Ach ja!« hauchte Lilli. Sie warf ihre Cigarette in den Aschbecher, zog ihre Füsse auf den Divan und streckte sich lang aus, die Arme unter dem Kopf verschränkt.

Ganz leise begann Joachim von Lossow die Tasten zu berühren: suchende, schwebende Akkorde. Ganz allmählich erst stellte sich eine Melodie ein, eine unsagbar wehmütige, einförmige Weise, wie ein Wiegenlied im Verdämmern des Abends. Aber die Melodie wuchs sich aus; sie gewann festere Umrisse, sie wurde gross und schicksalsschwer, von fremdartigen Harmonieen getragen; und dann brach sie plötzlich ab und nach einem einleitenden mächtig anschwellenden Tremolo hub ein Allegro an voll kühnen Trotzes, in welchem lärmende Fanfaren und polternde Bassfiguren gegen einen zu ruhiger Grösse sich erhebenden Gesang ankämpften. Und dann erlosch der Kampf; die klagende Melodie des Anfangs erschien wieder, aber reicher bewegt, den gebändigten Schmerz eines Edlen singend. Und zum Schlusse ging die Fantasie aus in eine mystische Verklärung, die völlig Lizstschen Geist atmete.

Alle Zuhörer, den gänzlich unmusikalischen Raoul nicht ausgeschlossen, standen unter dem Eindruck, der Offenbarung einer wunderbar tief angelegten Künstlerseele gelauscht zu haben und hüteten sich wohl, die schöne feierliche Stimmung durch banale Lobsprüche zu stören.



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